Kann man Caesar und Ovid nicht auch in Übersetzung lesen?



Agriculturae non student, maiorque pars eorum victus in lacte, caseo, carne consistit. Neque quisquam agri modum certum aut fines habet proprios, ... ne adsidua consuetudine capti studium belli gerendi agricultura commutent.
(Caesar, de bello Gallico VI, 22)

Auf Ackerbau legen sie [die Germanen] keinen Wert, und der grössere Teil ihrer Nahrung besteht aus Milch, Käse und Fleisch. Und niemand hat einen fest abgegrenzten Grundbesitz oder ein eigenes Gebiet, ... dass sie nicht, von der sesshaften Lebensweise angetan (gepackt), den Eifer, Krieg zu führen, mit dem Ackerbau vertauschen (Übersetzung: Universität Zürich)


Im Prinzip ja. Doch nur durch die intensive Beschäftgung mit dem Original verstehen wir die Grundlagentexte Europas – und damit uns selbst – in ihrer Tiefe.

Machen wir ein Beispiel. Für Caesar unterscheiden sich die zivilisierten Gallier von den unzivilisierten Germanen dadurch, dass erstere „agricultura“ betreiben und letztere nicht. „Ackerbau“ lautet der Ausdruck in nahezu allen Übersetzungen, und er trifft damit sicher den Sachverhalt. Doch agricultura meint mehr. In ihr klingen unsere Wörter „Kult“ und  „Kultur“ an; die Römer sehen ihr Land und letztlich ihr Leben als etwas an, was es zu gestalten, zu kultivieren gilt. Cato der Ältere hat um 150 v.Chr. ein ganzes Buch „de agricultura“ geschrieben, und da gehören nicht nur Tipps zum Säen, Ernten und Viehzucht dazu, sondern auch die Gestaltung des Hauses und der Mahlzeiten, der Umgang mit der „familia“ eines solchen Gutsbesitzers. Dieser bildet für Cato die Identität eines idealen Römers ab, die im tätigen Gestalten der Welt gegründet ist. All das schwingt mit, wenn Caesar den Germanen die agricultura abspricht.

„Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ Mit diesem Fazit aus dem Munde der Engel lässt Goethe sein Schauspiel Faust II enden. Und genau dieses „strebend sich Bemühen“ steckt in dem Ausdruck „agriculturae student“ – eine Vorstellung von menschlicher Identität und Glück, die bei den Römern grundgelegt wurde und sich über Mittelalter und Neuzeit bis in unsere Tage, bis zu unserem problematischen Machbarkeitswahn hinzieht. Nur: Diese geistesgeschichtlichen Zusammenhänge und deren Aktualität für heute erschließen sich nur am Originaltext. „Sie betreiben keinen Ackerbau ...“ sagt demgegenüber fast gar nichts.

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